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  „Wir lernen nicht für die Schule, sondern fürs Leben.“

Eine lernende Organisation hört auf alle Mitarbeitenden und Betroffenen / Kunden und verbessert dadurch ihre Abläufe. Eine Stadtverwaltung wie München hatte all zu lange in SPD-Art von oben her verwaltet, statt wirklich auf die Bürgerbeteiligung und Selbstorganisation zu bauen. Innovationen dauern so 30 Jahre: Von der Agenda 21 (Rio 1992) bis zur Umsetzung 2021 …

Nachhaltig Lernende Organisationen sind Einrichtungen und Betriebe, die eine Kommunikationsform der Mitarbeitenden-Orientierung mit guten Kunden-Kontakten zur Qualifizierung der eigenen Arbeit entwickeln.

Eine Lernende Organisation lernt nicht nur in einzelnen Mitarbeitenden, sie schaut auf die Gesamtheit und auf ihre Kunden-Orientierung, die zukunftsfähig weiter zu entwickeln ist, nicht nur am aktuellen Erfolg. Diese Orientierung von Organisationen kommt aus den USA, in deren Kreisen nach Beteiligungsformen gesucht wurde, die aus der Arbeit bei Paulo Freire abgeleitet wurde.

Paulo Freire war viele Jahre seines Exils aus Brasilien beim Weltkirchenrat in der Schweiz für die afrikanischen Länder zuständig, wo er nicht nur Alphabetisierung und Bewusstseinsbildung in der entwicklungspolitischen Arbeit der Kirchen verankerte, sondern auch beteiligungsorientierte Zusammenarbeit und Lern-Autonomie.

Freire's Pädagogik drehte die Richtung um:

Nicht die lernbereiten Kinder mit vorgefertigtem Wissen abfüllen, bis sie es in Prüfungen wieder rauskotzen, sondern den gegenseitigen Lernprozeß unter den SchülerInnen an- und begleiten und gemeinschaftliches Forschen einüben, das Weiterfragen kann, als mein eigener Horizont ist.

Das kann weitergehen bis zu gemeinschaftlichen Zukunftswerkstätten

Von Paulo Freire zur Lernenden Organisation

Diese Entwicklung hat später vor allem in den USA stattgefunden, (Peter Senge), dort ist die Adaption seiner Gedanken etwas langsamer, aber langfristiger dann auch an den Universitäten angekommen.

Was Paulo Freire in Brasilien mit der Pädagogik der Unterdrückten begann, verbreitete sich anfangs der 70er Jahre an unseren Hochschulen auf hektografierten Blättern, bis die ersten Bücher erschienen: 1976 in Hamburg.

In Deutschland wurde die Erinnerung an die uralte Schul-Reform-Debatte davon ziemlich angeregt, Ivan Illich und andere legten nach, (Schafft die Schule ab!) aber Paulo Freire blieb im Marxismus-Verdacht, und die Reformschule blieb auf wenige eher private Projekte eingegrenzt.

Als 1994 Flavia Mädche in München zu Paulo Freire's Arbeit promovierte, und er gerade bei uns in der Stadt war, vermieden Kultusminister und Rektor, den alten kleinen Herren mit 35 Doktorhüten bei der Promotionsfeier zu begrüßen.

Kann Lernen wirklich Freude machen Nein, Bayern ist noch nicht bereit dazu. http://www.agspak-buecher.de/Paul-Freire-Gesellschaft-Hg-Flavia-Maedche-Kann-Lernen-wirklich-Freude-machen

Auch das ForumTheater von Augusto Boal wurde nur in den verbandlichen Strukturen aufgenommen, die offiziellen Einrichtungen mussten 1988 das Theater der Unterdrückten noch als Aktionstheater anbieten, damit der CSU-lastig eingeschätzte Präsident des Bayrischen Jugendrings nicht aufmerksam wurde.

Entsprechend blieb das Legislative Theater, das den Dialog des neuen Theaters der Politik zur Verfügung stellen will, im Europäischen Raum auf wenige Versuche begrenzt.

Bewusstseinsbildung, die Verbindung zwischen forschendem Denken und emanzipatorischem Handeln, das aus den Fragestellungen logisch abzuleiten ist, ist unserem Lehren und politischen Handeln fremd geblieben.

Innovation bleibt blindes Tasten, wenn die Richtung fehlt: Bedürfnisse müssen an ihrem Grund abgeholt werden, nicht an den Launen möglicher Käufer! Leichten Zugang zu Wasser und Not-Durft brauchen alle, auch außerhalb ihrer Behausungen.

Zur nachhaltig Lernenden Organisation werden!

Der erste Impuls gegen jeden Veränderungsdruck ist die Verteidigung. Diesen Impuls erkennen und nutzen, kann uns darüber hinaus bringen.

Veränderungsdruck

Finanzkrise und Klimawandel, Altern und Gesundheitsfragen, alles fordert uns ständig neue Stellungnahmen ab, für die wir meist nicht genügend vorbereitet sind. Meist meinen wir, alles selbst regeln und verstehen zu müssen, sollten aber Fachleute zu Rate ziehen.

Nicht-Lernende Firmen

Eine typische Berater-Sparfunktion: Die Telekom lagert den Kundenservice in Callcenter aus, Warteschleifen und inkompetente Telefonisten können weder Kundendienst leisten noch qualifizierte Rückmeldungen an die Auftraggebenden und Herstellenden geben. Die Kunden gehen, die Firma erfährt nicht, was sie besser machen könnte. Die nächsten Experten machen Umfragen …

Lernende Organisation

Längst gibt es gute Wege, eine Einrichtung zur Lernenden Organisation zu machen, die aus jeder Reklamation lernt, die Kundenwünsche zu Innovationen verarbeitet, doch regen sich sofort auch die Beharrungskräfte. Nicht selten sitzen die Motive gegen Beteiligung und Kundenwünsche in den Leitungsfunktionen, und werden durch hierarchisches Denken in den unteren Bereichen aufgeblasen und über-erfüllt.

Der Weg zur Lernenden Organisation

Bestandsaufnahme der Beteiligten in allen Kommunikationen: Auftraggebende, Kunden, Gesprächspartner … Kommunikationen regeln, einladen, … speichern, abstimmen. Studien-und Regelkreise der diversen Kommunikationen rhythmisieren, Beteiligung regeln, Informationsflüsse.

Der Weg zur nachhaltig Lernenden Organisation

Eine langfristig denkende Organisation entwickelt alle ihre Mitarbeitenden zu ihren besten Möglichkeiten, gibt nicht nur gefühlte Beteiligungsstruktur, sondern regelt in flacher Hierarchie alles dort, wo die höchste Dichte an Kompetenz sitzt. Dafür brauchen die wirklich Verantwortlichen eine klare Struktur der Informationsweitergabe, mit der sie die Entscheidungen der verschiedenen Bereiche mit-steuern.

Zukunftswerkstätten können für Entwicklungen, Trends und Wünsche sensibilisieren, kritische Entwicklungen frühzeitig einschätzen und „den Kunden die möglichen nächsten Wünsche“ von den Augen ablesen. Kommunikations-trainierte Mitarbeitende können gesellschaftliche Veränderungen geordnet verarbeiten und sofort lösungsorientiert reagieren.

Ein schönes Beispiel: Semco.br

Weltweit starren Manager fassungslos auf die Firma Semco: Was dort passiert, widerspricht allem, an was sie glauben. Die 3000 Mitarbeiter wählen ihre Vorgesetzten, bestimmen ihre eigenen Arbeitszeiten und Gehälter. Es gibt keine Geschäftspläne, keine Personalabteilung, fast keine Hierarchie. http://Semco.br

Alle Gewinne werden per Abstimmung aufgeteilt, die Gehälter und sämtliche Geschäftsbücher sind für alle einsehbar, die Emails dafür strikt privat und wie viel Geld die Mitarbeiter für Geschäftsreisen oder ihre Computer ausgeben, ist ihnen selbst überlassen.

Respekt als Erfolgsrezept

http://www.sein.de/gesellschaft/neue-wirtschaft/2010/die-befreiung-der-arbeit-das-7-tage-wochenende.html

Vorstellung des neuen Konzeptes für den Bereich IT und Lernen: Barcamp Bodensee in Konstanz beim Barcamp Bodensee, Hochschulen München: Bildungscamp München mit Forum-Theater und bei der Stiftung und Arbeit Stuttgart: Projekte neuer selbstbestimmter Arbeit

Eine Einrichtung, eine Gruppe oder ein Betrieb können ihre innere Kommunikation dazu weiterentwickeln, von der Mitarbeitenden-Identifikation zur Kundenorientierung durch innere Strukturen ständig selbst weiter zu lernen und dadurch alle Zufriedenheiten und Erfolge zu erhöhen. Theater-Methoden machen Dialoge knapp und präzise, Open Space-Regeln und Zukunftswerkstatt öffnen Dimensionen des Zusammenwirkens über den Tag hinaus.

Im Gegensatz zu allerlei Beratungen und Beteiligungsprozessen wird die Methodik bei den Mitarbeitenden selbst verankert, die schließlich das wichtigste Kapital einer Einrichtung sind. Sie selbst sollen alle Dialoge steuern können, und von eigenen Fortbildungen bis zur von außen geleiteten Zukunftswerkstatt für langfristige gemeinsame Perspektiven selbst alle Dialoge steuern.

Dazu gehören mit der Zeit alle Beteiligten eines Systems: Leitung und Auftraggebende, Mitarbeitende aller Bereiche, Kunden und mögliche neue Interessenten.

Lernende Organisation wurde als Konzept von Peter Senge aus den Grundlagen Paulo Freires entwickelt, die Theater-Methoden kommen aus dem Theater der Unterdrückten von Augusto Boal, die Zukunftswerkstatt wurde von Robert Jungk zur Demokratisierung unserer Zusammenarbeit entwickelt.

Aus der Gestalttherapie übernehmen wir dazu die Praxis der genaueren Wahrnehmung, des Kontaktzyklus und vieler Grundlagen der Supervision. Das Bierspiel des MIT als Beispiel http://de.wikipedia.org/wiki/Lernende_Organisation

Exemplarisches Lernen

  • Alexander Kluge und Oskar Negt: „Geschichte und Eigensinn“, 1981 und die gemeinsame Philosophie in zwei Bänden „Der unterschätzte Mensch“
  • Oskar Negt: „Soziologische Fantasie und exemplarisches Lernen“ Frankfurt 1968, das eine ganze Generation von Erwachsenenbildnern geprägt hat

Oskar Negt: Arbeit und menschliche Würde Göttingen 2001

   ... Grundskandal unserer Gesellschaft. Sie droht an ihrem Reichtum, 
   an ihren Überschussprodukten zu ersticken und ist gleichwohl außerstande, 
   Millionen von Menschen das zivilisatorische Minimum für eine menschliche Existenzweise zu sichern:
   Nämlich einen Arbeitsplatz, einen konkreten Ort, 
   an dem sie ihre gesellschaftlich gebildeten Arbeitsvermögen anwenden können, 
   um von bezahlter Leistung zu leben“ (S. 15).

https://www.die-bonn.de/esprid/dokumente/doc-2003/faulstich03_07.pdf

methodische und konzeptionelle „Haltegriffe“ zu Freires Arbeiten sind:

Begriffe sind die Griffe, um die Welt zu verändern

  Begriffe sind für Dich Griffe, mit denen unterschlagene Wirklichkeit öffentlich gemacht wird. 
  Oskar Negt zu Peter Grohmann https://www.die-anstifter.de/2012/10/oskar-negt-begriffe-sind-griffe/

Aktivierende Befragung, Bewusstseinsbildung, Bankierserziehung, generative Themen, thematisches Universum, Dialog, Aktion-Reflexion-bessere Aktion, Kultur des Schweigens, kulturelle Invasion und Volkserziehung,

In einigen Projekten der katholischen Landjugend und der Grünen in Österreich hatten wir die Arbeit an den Mythen unserer Erziehung gearbeitet und eine große Mythentüte unserer Kulturen zusammen gesammelt, in einer Tagung der Paulo-Freire-Gesellschaft in Potsdam ?1995? hatten wir die Ost-Adaption von Paulo Freire's Gedanken mit den westlichen Entwicklungen verglichen,

in der Berliner Tagung 1999 hatten wir die Spuren der Lern-Autonomie in unserem eigenen Lern-Erleben zu Lern-Biografien ausgetauscht.

Vor vielen Jahren begannen wir diesen Wikipedia-Eintrag … der zum Enzyklopädischen Artikel „aufgewertet“ wurde:

Die Inhalte der „Pädagogik der Unterdrückten“

Paulo Freire gilt heute als der bedeutendste Volkspädagoge der Gegenwart. Er setzte Alphabetisierungs-Kampagnen in den Slums und Landarbeitersiedlungen Brasiliens durch.

Mit dem von ihm entwickelten Alphabetisierungs-Konzept war es möglich, innerhalb von 40 Unterrichtsstunden lesen und schreiben zu lernen. Er wollte damit aber nicht nur erreichen, dass die Menschen rein das Lesen und Schreiben beherrschen, sondern sah den Prozess der Alphabetisierung und der Bildung als unabdingbares Mittel zur Selbstbefreiung.

Er selbst bezeichnete sich als Radikalen und forderte Radikalisierung, da diese in Zusammenhang mit kritischem Geist immer schöpferisch wirkt. Pädagogik der Unterdrückten

Paulo Freire teilte die Gesellschaft in Unterdrücker und Unterdrückte ein, wobei die Bevölkerungsmehrheit die Seite der Unterdrückten darstellt und die wenigen Herrscher, die Eliten, die Position der Unterdrücker einnehmen. …“ https://de.wikipedia.org/wiki/Paulo_Freire|Wikipedia-Eintrag

Quelle und mehr in http://fritz-letsch.eineweltnetz.org/paulo-freire-1921-1997

Eine Pädagogik der Fragen

Viele Pädagogen stellen sich oder dem Publikum gerne rhetorische Fragen, die sie anschließend selbst beantworten. Sie haben sich eine zuhörende Person vorgestellt, die sie nun ansprechen und belehren wollen. Diese Haltung macht die Zuhörenden passiv, sie glauben nicht mehr an wirkliche Fragen oder sind nicht mehr in der authentischen Haltung, wirklich zu antworten, tiefer zu fragen.

Wirkliche Fragen kann ich spontan einbringen, die Lernenden in den Dialog zu holen, ernsthaft zuhören und tiefer zu fragen, welche Hintergründe den Gesprächspartnerinnen zugänglich oder zu eröffnen sind. Eine Anleitung zu eigenem Lernen und Studieren entsteht …

Oscar Jara, Costa Rica, erzählt zum 102. Geburtstag von Paulo Freire von vielen Geflüchteten aus Nicaragua und der integralen Weiterbildung für einige davon, in der agro-Selbstversorgung zu lernen und den Versuchen, eine eigene Hochschul-Organisation für die gemeinschaftliche Forschung aufzubauen und Forschungsgruppen unter den MigrantInnen zusammenstellen, die gemeinsam ein Buch zusammenstellen.

Weiterführende Literatur:

mehr und auch Termine wie fachliche Mailing-Gruppen im Internet

Zur Pädagogik der Unterdrückten

Zum Theater der Unterdrückten

Eine Powerpoint-Zusammenstellung

lernende Organisation

Eine Lernende Organisation ist wie ein Mensch, der seine Erfahrungen wach in sein nächstes Handeln einbringt:

Aber nicht überfordert und überlastet wie Einzelne, sondern abgesprochen, gemeinschaftlich, unterstützend.

Nicht angegriffen und gekränkt, sondern Verständnis suchend, nicht resigniert, sondern aktiv, die Reaktionen verstehen wollend, im Sinne aller Beteiligten, der Gesellschaft und der Umwelt.

Grundlage dafür ist gemeinschaftliches Denken, das nicht die Erfolge der Einzelnen, sondern die gemeinsam erreichten Ziele der Einrichtung im Vordergrund sieht.

Fehler machen dürfen

Zu einer lernenden Organisation gehört eine offene Fehler-Kultur: Fehler-Bereiche zur Position angemessen definieren, Risiko-Abschätzungen üben und reflektieren, aus den Fehlern gemeinschaftliches Lernen ohne Belastung der Person organisieren.

http://www.lernendeorganisation.de.vu http://de.wikipedia.org/wiki/Lernende_Organisation http://www.4managers.de/management/themen/lernende-organisation/ dort: Wie eine Organisation lernt Eine Organisation kann sowohl mehr, als auch weniger Wissen haben als die Summe ihrer einzelnen Akteure (s.a. Wissensmanagement)

Nachhaltig lernende Organisation

Durch Beteiligung aller Mitarbeitenden in einem Bereich und durch Orientierung auf alle Ebenen der Einrichtung und ihrer Umwelt wird ein Prozeß angeregt, der von den Beteiligten immer wieder selbst angestoßen und erneuert werden kann. Die Nachhaltigkeit bezieht sich damit auf den zeitlichen und den umweltbezogenen Kontext und deren Veränderungen.

Start dieses Themas

http://www.slideshare.net/lembke/lernende-organisation-und-change-management-neu-gedacht

sehr viel frühere Grundlagenarbeit: Fritz Letsch: Lernen zurückerobern, Theater-Werkstatt-Arbeit als kooperative Arbeitsform erschienen in: Kulturen des Lernens, Bildung im Wertewandel, Hg. von Hannelore Zimmermann & Verband unabh. Bildungsinitiativen und Tagungshäuser Baden-Württemberg, talheimer sammlung kritisches wissen 1995

Fast alle unsere herkömmlichen Lernstrukturen sind autoritär organisiert. Vor allem das Lernen und Lehren, aber auch die verschiedenen Formen von Arbeit und Zusammenarbeit sind von der Situation eines ,vorne und hinten', eines ,unten und oben' geprägt, auch wenn in vielen Situationen die Einwegkommunikation aufgelockert wurde.

Obwohl einzelne Lehrende bemüht sind, demokratische Formen einzuführen, das Prinzip ist geblieben: Die Lehrperson gibt Wissen ab, die Lernenden dürfen Fragen stellen, jemand gibt Arbeit, andere erledigen sie gegen Bezahlung; jemand hat Fachwissen, die anderen können es gegen Leistungen übernehmen. Es wurde uns beigebracht, dass darin ein Gefälle, dass belehren ein einseitiger Fluss zu sein hätte.

Dabei wird gerade auch im Geschäftsleben und nun auch im ,lean management' das alte System der Kontrolle durch die Mächtigen von einem Arrangement aller Beteiligten abgelöst, weil Partnerschaften die Energie besser fließen lassen.

Modelle, in denen es auch anders geht, sind reichlich, aber nicht sehr bekannt. Neben den Selbstverwalteten Betrieben, Belegschaftsbetrieben, Kooperativen und Genossenschaften sind in den einzelnen Sparten verschiedene Gemeinschaftsstrukturen entwickelt worden: Gemeinschaftspraxen, Kanzleigemeinschaften, Kollegen-Netze und Bürogemeinschaften.

Ein sehr schönes Modell der Übergabe eines ,Chef-Betriebes' in Belegschaftshand durfte ich Anfang des Jahres in Birmingham erleben: Der Besitzer einer Installationsfirma für Zentralheizungen mit 14 MitarbeiterInnen möchte in den nächsten zwei Jahren in Ruhestand gehen, sein Sohn möchte die Firma nicht übernehmen, an die Konkurrenz oder Außenstehende möchte er nicht verkaufen.1)

Eine Agentur erstellte ein Programm, zusammen mit der Belegschaft den Ankauf und die Übernahme der Verantwortung zu organisieren: Die Finanzen der einzelnen als Teilhaber, den Wert des Betriebes, Modalitäten der Übernahme, Fortbildungen für das Verständnis des Betriebsablaufes und ein Entwurf für die Struktur des Betriebes als Kooperative sind einzelne Elemente dieser Arbeit. Im Verlauf der Übernahme soll den einzelnen MitarbeiterInnen die Sicherheit und Kompetenz für die Mitverantwortung vermittelt werden, die zur gemeinsamen Verwaltung notwendig ist.

Solches Lernen nur ,vom Katheter aus' zu organisieren, wäre wie rein theoretischer Fahr-Unterricht: Ohne das Erleben der eigenen Fähigkeit und die Ansiedlung im eigenen Erfahrungsfeld und den schon beherrschten Arbeitsformen sähe das wie eine glatte Überforderung aus.

Die Feststellung dass jeder Mensch, der sich überlegt, ob er sich gerade noch ein Bier leisten kann, damit eine Haushaltsentscheidung trifft, und dass neben der scheinbaren Komplexität von Haushaltsplänen und Bilanzen jedeR sowieso die Konsequenzen der nötigen Entscheidungen trägt, sind bescheidene Angriffe auf eine Bastion der Macht: Geld und alles darum herum sind Tabus, von Berufsfertigkeiten der Buchhaltenden auch wohl behütet. Den gleichen Schutz geben Lehrende ihrem Berufsfeld: Wir tun das Beste für Euch!

Veränderungen lernen

Gegenbewegungen und ihre Re-Integration: Verschiedene politische Bewegungen, später unter dem Begriff ,Neue Soziale Bewegungen' zusammengefasst, haben Veränderungen des HERRschenden (Geschäfts-)Lebens bewirkt - punktuelle oder auch grundsätzlichere. So wie die Ostermarschierer zuerst nur die Wiederbewaffnung, die Atomkraftgegner diese gefährliche Technologie, die Friedensbewegung die Nachrüstung und die Ökologiebewegung die Zerstörung unserer Lebensgrundlage verhindern wollten, entstanden noch viele andere Bewegungen, die oft nur an einem Punkt begannen, aber durch die (Nicht-)Beachtung durch Verantwortliche, Öffentlichkeit oder staatliche Gewalt breiter, kritischer und politischer wurden.

Durch solche Konfrontationen und dem Gefühl der eigenen Machtlosigkeit entdeckten immer wieder mehr Menschen die ,Gewaltfreie Aktion'. In der BRD werden unter diesem Namen schon lange Trainings angeboten, die für eine politische Einmischung und Veränderung qualifizieren. Die Grundidee hierfür kam aus der gewaltfreien Bewegung Ghandis, die Methoden aus den Bürgerrechtsbewegungen der USA, die Anwendungsidee aber kommt aus dem jeweiligen Kontext einer Gruppe, die ihre Aktion selbst entwickelt und durchführt. TrainerInnen können von den Gruppen herangezogen werden, um an den Ursachen des Problems, den Zielen der gemeinsamen Arbeit und der Umsetzung der beschlossenen Aktionen zu arbeiten - neue Wege erschliessen sich, wenn gängige Reaktionsmuster aufgegeben werden.

Die Krankheiten des Systems und ihre sprechenden Symptome erfordern Änderung statt Anpassung. Den einzelnen Symptomen muss auf den Grund gegangen werden, damit eine Veränderung Konsequenzen haben kann: auf Macht und Geld, Status und eigene Sicherheit, auf Gewohnheit und Sonderrechte. Die Angst vor Verlusten ist so das größte Hindernis, klar und bewusst auf eine Problematik zuzugehen.

Eine Lust auf Veränderung ist dagegen nur mit Entdeckungen zu wecken: Wenn das ,Andere' denkbar wird, folgen Versuche ihm näher zu kommen unmittelbar. Die Suche nach Verbesserungen ist der Motor unserer Entwicklung. Diese Lust mitzumachen, kann aber nur in offenen Systemen gemeinschaftlichen Lernens erfahren werden. Schulen, Universitäten und Betriebe lassen in ihrer hierarchischen Struktur kaum konkurrenz- und wertfreie Räume zu.

Die Möglichkeiten der freien Szenen erscheinen im Gegensatz dazu zwar zuerst oft vage und undeutlich, bringen aber weit interessantere Ergebnisse, als die herkömmlichen Formen des Unterrichts - gute Moderation und Anleitung vorausgesetzt. Das gemeinsame Lernen und Entwickeln an einer Thematik setzen auch sehr viel tiefer an der Motivation der einzelnen an, so dass Kraft und Energie in besonderer Weise freigesetzt werden.

Diese Erfahrungen werden heute immer noch weitgehend vernachlässigt, es findet keine Übersetzung in die alltägliche Praxis unserer Kinder, Studierenden und Mitarbeitenden statt: Nur in wirklich erlebter Gemeinsamkeit, im gleichberechtigten Austausch in allen Teilen ist diese Motivation zu wecken. Dass vor allem Lehrende sich damit so schwer tun, ist für mich ein ernüchternder Schrecken: Viele haben tatsächlich nur Stoff abzugeben, haben keine grundlegende Kommunikation gelernt. Aber: Wer Kindern Stoff verabreicht, macht sie süchtig.

Wie sich Schulen zu Kinder-, Jugend- und Lernzentren entwickeln könnten, in denen ihre natürliche Neugierde nicht zerstört wird, in denen sie auch lernen, sich vor dem unberechtigten Zugriff Erwachsener zu schützen, ihre eigenen Interessen herauszuarbeiten und zu vertreten, statt eine verdummende Jugendzeit zu verbringen, müssen wir alle erst lernen. Es gab derartige Traditionen und es wird nötig sein, neue Bräuche dieser Art zu entwickeln, offene Traditionen zu finden.

Lust an Arbeit

Von verdorbenen Begriffen zum eigenen Inhalt: Beim Wort ,Arbeit' reagieren die meisten Menschen, die ich kenne, eher negativ. Ich arbeite gerne, ohne davon süchtig zu sein, weil mir die meisten Aufgaben Spass machen oder mich längerfristig weiterbringen. Bei vielen ist allerdings nicht nur der Begriff verdorben, sondern auch der Inhalt: sie fühlen sich nicht ernst genommen, empfinden ihr Schaffen ziellos, ärgern sich über lästige Kollegen, es fehlen ihnen Verbindungen zur eigenen Identität.

Auch die alte Theologie schlägt noch auf die heutige Wirklichkeit durch: Leben und Arbeit wären Leiden, nur gesegnete Menschen lebten im Reichtum, der Rest muss Fron erleiden. Mit unserer heutigen Denkweise ist dies zwar nicht mehr zu vereinbaren, aber diese alten Bilder wirken noch, stecken ganz tief in uns. Würden wir sonst so unreflektiert die Mythen des Kapitals schlucken? Doch nicht nur, weil wir zur ,Belohnung' kurz mal in den Urlaub fliegen dürfen?

Das eigene zu definieren ist nur möglich, wenn wir auch selbstbewusst sind. Dieses Wissen um unser Selbst entsteht im Austausch mit anderen und kann damit auch nur gemeinsam entwickelt werden. Der Verlust vieler Verbindungen und auch der Rituale, die Kontakte organisieren können, hat zu grosser Unsicherheit geführt, die nur im Dialog aufgehoben werden kann, und für die unsere Medienlandschaft kein Ersatz sein kann. Nur durch die konkreten Auseinandersetzungen erleben wir uns als Teil unserer Mitwelt, nur das gibt uns letztendlich die Anerkennung, Geborgenheit und Sicherheit, auf die wir uns verlassen können. Die allzu bekannten Spielformen der Oberflächlichkeiten täuschen Verbindung nur vor, verankern uns nicht in unseren Zusammenhängen.

Wenn wir unsere tieferen Erfahrungen, die sich oft nur in unseren Gefühlen ausdrücken, ernst nehmen, wird allzu oft deutlich, dass unsere Lebensformen den eigenen Bedürfnissen oft nicht gerecht werden (können). Da ein Patentrezept, das für alle gelten kann, nicht in Sicht ist, sollte vielleicht jeder damit beginnen, den eigenen Stil selbst-bewusst zu definieren und den anderen als wandelbar und auseinandersetzungs-fähig darstellen.

In Systemen vernetzt denken

Hinter dem Stichwort ,Vernetzung' verbirgt sich eine neue Denkrichtung, die uns Veränderungen gegenüber wacher macht: das Systemische Denken. Ausgangspunkt ist, dass alle Menschen Teile eines Systems sind, durch das sie die Welt begreifen und je nach ihrem Standort (Wissen, Erfahrung, Stellung, Herkunft) für sich definieren. Indem ich Kontakt zu anderen, mir bisher fremden Teilsystemen und -ebenen aufnehme, wird die eigene Definition wieder in Frage gestellt.

Indem wir begreifen, dass wir das System anderer nicht einfach in unser eigenes einfügen können, sondern in der Realität mit mehreren Systemen und Blickwinkeln leben, ist die Vernetzung ein offener Austausch, eine mögliche Begegnung von anerkannt Verschiedenem. Diese Anerkennung beinhaltet den Respekt vor den Positionen der anderen und muss folglich auch von einer mehrfach verschiedenen Sicht der Welt und unserer Existenz darin ausgehen. Eine Verständigung wird in der Begegnung möglich, die nicht die anderen zum eigenen Standpunkt missionieren will. Eine der Grundlagen dafür ist, den ,Besitz der Wahrheit' als Haltung aufzugeben.

Von verschiedenen Blickwinkeln zum Gemeinsamen: Wir haben in unseren hierarchischen Systemen gelernt, dass die Wahrheit von oben definiert wird, wenn auch alle dabei von Demokratie und Gemeinsamkeit reden. Ein offener Umgang mit mehreren Wahrheiten ist in unseren Kommunikationsformen nicht vorgesehen. Ich möchte im folgenden einige Formen des ,Theater der Unterdrückten' vorstellen, die es ermöglichen, mit der Realität aus dem eigenen und dem fremden Blickwinkel umzugehen. Damit kann eine Sicht auf das Gesamte unserer Gesellschaft und unserer Wirklichkeit ermöglicht werden. Das ,Theater der Unterdrückten' in der Art von Augusto Boal korrespondiert in seinen Grundlagen mit der Pädagogik Paulo Freires und mit den Prinzipien der Kritischen Psychologie.

Im Rahmen meiner Arbeit hier suche ich noch einen passenden Begriff. ,Theater der Unterdrückten' wird in unserem Kontext oft falsch verstanden, mit dem klassenkämpferischen Zungenschlag der Moderne zusammengebracht. Dabei überwindet gerade diese Methodik die Front-Definition. Als Versuch der Neubenennung ist der Begriff ,Reale Theaterarbeit' im Gegensatz zum ,Illusionstheater' entstanden.

Fritz Letsch: Reale Theaterarbeit in sozialen und pädagogischen Berufen und andere Artikel zum Theater der Unterdrückten

Beispiel: Reale Theaterarbeit

Das Wort Theater ist missverständlich geworden, seit viele Menschen aufgebrochen sind, die alten Spiele und Rituale zur Deutung und Ver-Deutlichung ihres Alltags einsetzen. Die TheaterwissenschaftlerInnen kommen kaum nach, die Kriterien und Abgrenzungen für die jeweiligen Methoden fortzuschreiben. Was zwischen Improvisation, Psychodrama, Rollenspiel, Lehrstück-Arbeit, Theatertherapie, etc. entworfen und entwickelt worden ist, lässt sich natürlich jeweils ableiten und einordnen, so auch meine Arbeit.

Mein Spezialbereich ist das ,Theater der Unterdrückten', wie es uns Augusto Boal aus Brasilien ins europäische Exil mitgebracht hatte. Er wiederum bezieht sich (neben etlichen anderen) vor allem auf Brecht: Die Arbeit an der Erkenntnis entspricht sehr dem Ansatz der Bewusstseinsbildung bei seinem pädagogischen Landsmann und Kollegen Paulo Freire.

Die offene Sammlung von Methoden, die das Theater der Unterdrückten neben einem Grundkanon darstellt, kann auch unseren Kontext der verdeckten Mechanismen und Tabus durchleuchten helfen und eine spielerische Erkenntnis-Anleitung in unsere verschiedenen sozialen und pädagogischen Lernfelder bringen.

Der Begriff ,Reale Theaterarbeit' ist ein Versuch, im Gegensatz zu Literatur-Inszenierungen, das Eigene in Szene zu setzen.

1. Die Methoden des ,Theaters der Unterdrückten'

,Das Theater der Unterdrückten ist immer Dialog: Wir lehren und lernen (_). (Es) geht von zwei Grundsätzen aus: Der Zuschauer, passives Wesen, Objekt, soll zum Protagonisten der Handlung, zum Subjekt werden und das Theater soll sich nicht nur mit der Vergangenheit beschäftigen, sondern ebenso mit der Zukunft. Schluss mit einem Theater, das die Realität nur interpretiert; es ist an der Zeit, sie zu verändern (_). Theater der Unterdrückten' heißt Auseinandersetzung mit einer konkreten Situation, es ist Probe, Analyse und Suche„ (Boal 1980, S. 68).

Das Statuen-Theater ist ein Grundelement gemeinsamer Theaterarbeit, es ist wie der Buchstabe in der Sprache der Bilder. Die Technik ist einfach, die Zuschauer setzen ihre Vorstellungen in ein Gruppenbild um, mit Hilfe der Ausdrucksmöglichkeit ihrer zu Statuen erstarrten Körper.

Damit wird einer Unterdrückungssituation ein Gesicht gegeben, das die Vielschichtigkeit der jeweiligen Situation in Szene setzt. Diese Bilder geben mehr Einblick in die Komplexität von Situationen als lange Erklärungen und Diskussionen, weil die persönliche Sicht- und Erlebensweise ganz deutlich wird.

Ausgangspunkt für das Statuen-Theater ist ,eine Runde Körperbewusstsein', bei mir eingeleitet durch einfache Übungen von Fuss bis Kopf, die neben der Beweglichkeit und Aufmerksamkeit auf Deformationen des Körpers und mit den Variationen unseres Ausdrucks im jeweiligen sozialen Kontext spielen.

Der Übergang zum Forum-Theater ist dann fast fließend: Wenn ein Bild von Unterdrückung und Resignation aus dem Statuentheater in einen sozialen Kontext gesetzt und um die Handlungsebene mit Sprache, Gestik, Bewegung und Handlung versehen wird, kommt ,Handlungsbedarf' ins Publikum: Der Wunsch, Resignation und Unterwerfung nicht mit ansehen zu müssen, und eigene ähnliche Erfahrungen oder Ängste lassen meist im Nu Teilnehmende aufspringen und Versuche eines anderen Ausganges der Szene entwerfen und erproben.

Der Zuschauer kann über den Joker Einfluss auf den Spielverlauf nehmen. Eine Joker-Figur vermittelt zwischen den Spielszene-SchauspielerInnen und dem Publikum. Sie stellt dem Publikum knapp das Umfeld der Szene vor, macht vielleicht auf Besonderheiten in einzelnen Rollen aufmerksam (Alter, Geschlechtertausch, Beruf, Schicht, etc.) und lädt das Publikum nach der ersten Vorstellung der Szene zur Veränderung ein. Wichtig ist dabei, dass alle neuen Versuchspersonen in der Wiederholung die gleiche Ausgangsszene bekommen und diese auch nicht einfach magisch verändern dürfen.

Verschiedene Techniken des Bilder-Theaters, auch ,images' genannt, dienen vor allem der Vertiefung und genaueren Untersuchung von Szenen. Dabei wird die Ausgangs-Statue oder eine Passage aus einem Forum-Theater genommen und durch die anderen Teilnehmenden mit den Polizisten im eigenen Kopf konfrontiert, die (ähnlich die Eltern- und Lehrer-Ichs) die eigenen Über-Ich-Rollen aussprechen sollen, welche Assoziationen die anderen TeilnehmerInnen in die Szene tragen. Aus dieser ,kollektiven Projektion' wählen dann die spielenden Personen Anteile aus, die ihnen interessant und wichtig erscheinen.

Der Regenbogen der Wünsche ist eine sehr ähnliche Methodik, die allerdings vor allem die möglichen Wünsche der beteiligten Personen in den Projektionen aufscheinen lässt. Die Spielenden wählen auch hier wieder die Ideen der hinter ihnen sprechenden Personen aus, die ihnen selbst im Kontext hilfreich sein könnten.

Daneben gibt es noch eine Menge von Techniken und Übungen, die zur genaueren Erforschung einer Thematik dienen können. Das Unsichtbare Theater zählt für mich in unserer Kultur zu diesen Werkzeugen. Es ist eine gute Hilfe, Tabus auf ihre Wirksamkeit und ein Publikum auf unsere Vorurteile hin zu überprüfen. Einen anderen als einen kritisch-reflektierten Einsatz kann ich nicht befürworten, weil eine nur spielende Verwendung zu unfruchtbaren Irritationen aller Beteiligten führt.

Regelmäßig wird mir die Frage gestellt, wie die Grenze zu Psychodrama und Therapie zu ziehen ist. Der Hinweis von Augusto Boal, dass unser gesamtes Handeln immer gleichzeitig psychologisch, pädagogisch und politisch ist, ist für das verantwortliche Berufshandeln vieler keine Hilfe, kann aber eine Richtung weisen:

,Theater der Unterdrückten' wird immer auf den sozialen und pädagogischen Kontext eingehen und dabei Mechanismen und Prägungen unserer Psyche wahrnehmen, anspielen und austauschen, ohne auf der psychologischen Ebene in die persönlichen Geschichten zu gehen, wohl aber den politischen Hintergrund zu bearbeiten.

So liegt gerade in der Projektionsebene ,der Polizisten und der Wünsche' der Reiz in der Situationswiedergabe der ganzen Gruppe. Im klaren Blick auf die gemeinsame Prägung versteht sich die einzelne spielende Person dann als beispielgebende, nicht als Deutungsobjekt der anderen.

Vom Rollenspiel hebt uns der weitergehende Schritt zur ,Probe auf die Wirklichkeit' ab. Was zumindest in den mir bekannten Rollenspiel-Riten oft an der Person oder ihrer Situation hängenbleibt, wird im ,Theater der Unterdrückten' auf die gesellschaftliche Wirklichkeit übertragen: Stimmt meine Interpretation eines Zusammenhanges auch in einem anderen Bereich? Ändert eine neue Sichtweise auch andere meiner Lebensbereiche? Auf der Suche nach authentischen Verhaltensweisen geraten wir jeweils über fachliche und berufliche Grenzen zu neuen Fragen. in Lernende Organisation

Von der Spielpädagogik zum eigenen ,Ernst des Lebens' führt somit ein gradliniger Weg, der auch sofort gemeinsam begangen werden kann. Der unverbindliche ,Spass' wird dadurch nicht zur sturen Arbeit, sondern zu einem tieferen Erleben gemeinsamen Ausprobierens, das manchmal makabererweise, in den tiefsten und bittersten Situationen die beste und herbste Komik bekommen kann.

Aufbrüche wagen

Das ,Reale Theater', das ,Theater der Unterdrückten' taugt zu szenischer Arbeit in postmodernen Verhältnissen, weil es das Denken in systemischer Vielfalt in den Szenen und in der gemeinsamen Regiearbeit transparent machen kann. Ausgehend von den Kernszenen, die in den Statuen - oder in den Forum-Bildern von Teilnehmenden vorgestellt werden, entwickeln wir ja gemeinsam den Blick auf Mechanismen der Unterdrückung (und Unterwerfung), in der die Wahrnehmung jeder Person unbestritten neben die der anderen gestellt wird. Dabei geht es aber nicht um Beliebigkeit, sondern um Einfühlung: Da jeder Mensch mit seiner Geschichte und seiner Art verschieden fühlt, werden wir nicht die gleichen Lösungen für alle finden.

Auch wenn wir regelmäßig mit den Fertiglösungen, z.B. kämpferisch-linker Positionen, zu tun haben (die wissen oft, wie den Unterdrückten zu helfen ist), sind alt-moderne Reaktionsweisen 2) meistens nicht mehr befriedigend: Jede ArbeitnehmerInnen-Situation ist heute nicht einfach auf der Autoritäts- oder Abhängigkeitsebene abzuhandeln, neben gewerkschaftlicher Entwicklung gilt es auch die programmierte Arbeitslosen-Steigerung, verschiedene Bewusstseinsentwicklungen und politische Rückfälle mit zu denken.

Die Auswege, zu Spass-Politik oder Privatisierung der Problematik, zu Ein-Punkt-Bewegung oder Karriere, führen immer wieder zurück zu den Fragen von Konkurrenz oder Solidarität und scheitern oft am Verlust des gesellschaftlichen Konsenses, an persönlichen Problematiken oder Kommunikationsschwächen.

Die Darstellung unserer Wahrnehmung in Theaterszenen führt uns erst bei geübter und genauer Arbeit zur sicheren Haltung gegenüber Verwirrung, Sprachlosigkeit und Indifferenz. In der ersten Erprobung kämpfen etliche Teilnehmende mit der Fülle der Eindrücke und Möglichkeiten, weil wir nicht geübt sind, selbst verschiedene Blickrichtungen einzunehmen und differenziert mit den jeweils verschiedenen Äußerungen anderer umzugehen.

Einerseits ermöglicht so die reale Theaterarbeit sehr intensive Begegnungen und einen tief gehenden Austausch, sie fordert auf der anderen Seite auch die Fähigkeit selbst für Überblick, Einfühlung, Wechsel und Disziplin in der eigenen Reaktion zu sorgen: Bei vielen Teilnehmenden löst die intensive Arbeit eine breitere Palette von Gefühlen aus, als sie sonst gewöhnt sind. So wird aus gemeinsamer Theaterarbeit auch sehr oft ein persönlicher Aufbruch, eine Reaktion auf schon lange bedrängende Einengungen.

Der Aufbruch aus Kunstbereich, Vermarktung und autoritären Verhältnissen täte aber auch dem Theater insgesamt gut: Zwischen Staatstheatern, Selbstausbeutung und (un-)möglichen Karrieren, Namen- und Star-Rummel und der Sucht nach Berühmtheit ist heute keine vernünftige und verantwortbare Arbeit mehr zu machen: In zunehmend demokratischen Verhältnissen werden wir auseinandersetzungs-fähiger sein müssen, als das in durchaus auch bequemen autoritären Beziehungen von allen gelernt und gefordert ist.

Theaterarbeit in der Werkstattform stellt sich natürlich auch gegen die HERR-schenden Kunstbegriffe, die vor allem auf autoritären Prinzipien (z.B.: Theater-Papst!) beruhen, aber kaum der Ästhetik der Allgemeinheit oder des einzelnen entsprechen. Das gleiche Phänomen ist am Kunstmarkt zu verfolgen: Manche Fälschungen wären teurer als Originale, die Kriterien sind nur in der Lust der einzelnen Person zu finden, werden aber im allgemeinen vom Geschmack und der Nachahmung anderer abgeleitet. Unser Geschmack kann sich aber an der Art des Betreffens orientieren: Das Nichts-Sagende wird nur durch künstliche Finanzierung und Gewohnheit oder Brauchtum zur Kunst erklärt. Nur das eigene Tun kann uns anleiten, stimmigen Geschmack und Gefühl wiederzufinden.

Für die Lehrenden bringt diese Arbeitsform das Wagnis neuer Rollen: Aus der autoritären Belehrung mit dem immer neuen Problem der Motivierung wird nun die qualifizierte Moderation: Die Anleitung von selbstorganisierten Lernprozessen erfordert einige andere Fähigkeiten, aber vor allem eine bewusste und reflektierte Pädagogik. Das gleiche gilt für den/die SpielleiterIn: Als Joker im Forum-Theater besteht die Aufgabe, eine Szene in verschiedenen Variationen zum Sprechen zu bringen und zusammen mit dem (mitspielenden) Publikum zu ergründen.

Wichtigste Lerngrundlage ist dazu (neben dem Mut zu neuen Erfahrungen in der Praxis) die kritische Reflexion im kollegialen Austausch, in der die eigenen Anteile und die möglichen Fehler aus der jeweiligen Situation besprochen werden können.

2. Die ,Neu-Heit' des Forschens

In unseren Schulen lernen wir im allgemeinen nicht ein Denken in Zusammenhängen, sondern gehäufte Stoff-Mengen in zerrissenen Fächern, nur im besten Falle (bei besonderer Fähigkeit einzelner, vielseitiger oder zusammenarbeitender Lehrkräfte) ein zusammenklingendes Gemisch verschiedener Wissensbereiche kennen.

Wie in ,Trivial Persuit' entsteht eine Ansammlung verschiedenster Fachwissen, die aber nicht funktionalisiert werden können. So ist es am Ende kein Wunder, dass die Mehrzahl der scheinbar Angelernten mit lexikalischem Wissen sich anschließend so ,anstellt', dass sie ,arbeitlos' bleibt: Aber was ist das eigentlich, arbeitslos?

Ist nicht das Trimmen auf Anstellungen der Fehler, den angestellte und verbeamtete Lehrende machen müssen? Natürlich regeln BAT und Handwerksordnung, berufsständische Organisationen und Gewerkschaften in ihrer Wirkung das Verhalten in unserer Gesellschaft - aber wer spricht endlich einmal offen aus, dass sie alle nicht am Los der Nicht-Privilegierten interessiert sind, weil sie Privilegien verteidigen?

Solche Gedanken entstehen nicht in diesen Institutionen, sondern eher gegen sie: Dazu brauchen wir im Kopf die Grenze als Lern-Ort. Auch die Ausgegrenzten sind in ihrer Situation meist nicht fähig zu reagieren, weil bei ihnen die Grenze schon gewirkt hat: Sie halten sich selbst für unbrauchbar, wert-los.

Aus dieser Situation in ein Lern- und Forschungsprojekt zu kommen, ist aber eben sehr schwer zu organisieren. Ein denkbarer Bereich ist die Sozialarbeit und Sozialpädagogik, dieser ist leider eher mit Helfersyndromen oder Ordnungskriterien befasst, als mit der Fähigkeit, eine andere Pädagogik zu starten, die die Beteiligten aufwertet.

In der Jugendarbeit werden schon seit längerem neue Wege gesucht. So konnte im bayerischen Jugendring über Jahre zuerst in Wochenendseminaren (als ,Aktionstheater' getarnt) die Methodik des ,Theater der Unterdrückten' vermittelt werden, bis dann eine Fortbildungsreihe aus drei Einheiten unter dem Titel “stop!tabu„ zum Kennenlernen der einzelnen Schritte bis zur eigenen Anwendung und Bearbeitung einzelner Inhalte führte.

In der Aufteilung von Elementen der eigenen Körperarbeit und der Anwendung mit Jugendlichen, von Themen der Teilnehmenden und Themen der Zielgruppe und der Unterscheidung der Erfahrungen in der Lern- und Anleiterrolle entstand über ein Jahr hinweg eine intensive Reflexion der eigenen Pädagogik und ihrer Auswirkung in der Berufspraxis.

Studierende der Alice-Salomon-Fachhochschule für Sozialwesen in Berlin entwickelten für ein viersemestriges Projekt, ,Theaterarbeit mit Randständigen', eine Reihe von Lehraufträgen und Lernsituationen, in denen sie sich mit den Möglichkeiten der theaterpädagogischen Arbeit in ihren angestrebten Berufsrichtungen auseinandersetzen.

Spannend wäre für mich eine fortlaufende Entwicklung und Anwendung solcher Reflexionsebenen in der Mischung verschiedener sozialer, pädagogischer und therapeutischer Berufe mit Theater- und anderen Kunstberufen.

Anmerkungen 1 S.a. Bericht zu ICOM-Co-operative Developement Agencys / Lets als Währung 2 Nach dem Moderne-Begriff der alten Fronten links/rechts, Sozialist/Kapitalist, _ Weiterführende Literatur Zur Pädagogik der Unterdrückten: Paulo Freire: Pädagogik der Unterdrückten. Hamburg 1973 Joachim Dabisch und Heinz Schulze: Befreiung und Menschlichkeit, Texte zu Paulo Freire. München 1991 Zeitschrift für befreiende Pädagogik der Paulo-Freire-Gesellschaft

Zum Theater der Unterdrückten:

Augusto Boal: Theater der Unterdrückten, Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schau-spieler. Frankfurt 1979/1989

Bernd Ruping (Hrsg.): Gebraucht das Theater. Die Vorschläge von Augusto Boal: Erfahrungen, Varianten, Kritik. Bei: Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, Küppelstein 34, 5630 Remscheid 1 (vergriffen)

Arbeitsstelle Weltbilder, Agentur für interkulturelle Pädagogik Münster und Schulstelle der AG Bern: Spiel-Räume, ein Werkbuch zum Boal'schen ,Theater der Unterdrückten'. Münster/Bern 1993 (Südstr. 71b, 48153 Münster, 0251-72009 oder Schulstelle, Monbijoustr. 31, CH-3001 Bern)

Zur Theaterpädagogik:

Gisela Honens (Freiburg) und Rita Willerding (Kassel): Praxisbuch feministische Theaterpädagogik. Frankfurt/M. 1992 Gerd Koch: Lernen mit Bert Brecht. Bertolt Brechts politisch-kulturelle Pädagogik. Hamburg 1979 Zeitschrift Korrespondenzen über Prof. Gerd Koch an der Alice-Salomon-FHS, Berlin

Weitere Texte zum Theater der Unterdrückten (beim Autor: Fritz Letsch, Theaterpädagoge, München): Szenen für die Szenen, (Theaterarbeit in der Aids-Prävention) - Mach mir eine Szene (Theaterarbeit in der Sexualpädagogik) - Die Wüste wächst _ (Bundeskonferenz kath. Studentengemeinden)

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lernende_organisation.txt · Zuletzt geändert: 2024/01/09 17:24 von fritz