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Kritische Praxis mit Paulo Freire und Augusto Boal

Forumtheater ist die Praxis zur Kritischen Theorie: Heilung von Autoritäts- und Erziehungsschäden Dort besser formatiert und mit Bildern, hier noch in Arbeit …

Forumtheater ist die zentrale Methode im Theater der Unterdrückten von Augusto Boal, der die neuen Methoden aus den Inszenierungen und in den Befreiungsbewegungen Lateinamerikas sowie aus den Ideen Bert Brechts und der Pädagogik der Unterdrückten von Paulo Freire entwickelt hat, um ein kommunikatives Theater zu schaffen.

Augusto Boal inszenierte in Brasilien, studierte in den USA, migrierte nach Argentinien und dann ins Exil nach Europa, am 2. Mai 2009, genau 12 Jahre nach Paulo Freire, schloss er sein letztes Buch „Ästhetik der Unterdrückten“ mit dem Leben unter uns.

Von 1981 bis 1999 hatten wir ihn öfter zu Besuch in München gehabt, dann seine Mitarbeitenden aus Rio de Janeiro, mit denen er dort das Legislative Theater im Stadtrat als Ratsherr (Vereador) mit vielen engagierten Gruppen der Stadt entwickelt hatte.

In seinem ersten Arbeitsfeld, das ich erleben durfte, zeigte er Forum-Szenen mit arbeitslosen Schauspielenden in der Alabama-Halle, und es wurde zu einem ersten Wochenend-Workshop eingeladen, ein paar Monate später folgte die erste der 14-tägigen Werkstätten mit allerlei Theater-Leuten im Theaterhaus Berlin.

Forumtheater ist die Praxis zur Kritischen Theorie

die in der deutschen Version zu sehr in marxistischen Philosophie-Begriffen hängen geblieben ist, während in den südlichen Ländern Europas und Amerikas die anarchistische Praxis von Genossenschaften und gemeinschaftlichen wie gewerkschaftlichen Projekten von Kropotkin und Michail Bakunin im Vordergrund stand.

Paulo Freire hatte die Grundlegungen von gemeinschaftlichen Gestaltung wie bei Martin Buber, von dessen Freund Gustav Landauer und von Antonio Gramsci aufgenommen, ein lernendes Menschenbild entgegen unserer deutschen Stoff-Kanons, die immer noch in „Hoch“-Schulen“ verabreicht werden.

„entwicklungsdienst theater-methoden“ hatten wir unsere kollegiale Arbeit in der Paulo Freire Gesellschaft genannt, die das Kritische Denken in Szenen und Handlungsmöglichkeiten verwandelt,

Über die Jahrzehnte wanderte die Methoden dann mit mir in die Bildungsarbeit der Jugendverbände, in die Eine-Welt-Bewegung und die Gewaltfreie Aktion in der Friedensbewegung, gewerkschaftliche und kirchliche Akademien, Kirchenkreise und Lehrerfortbildungen, während Augusto es mit Inszenierungen in Theatern versuchte;

der Bayrische Jugendring gab dann, zuerst unter „Aktionstheater“ viele Fortbildungen auch in der politischen Bildung, dann ein erstes Werkstatt-Arbeitsheft „Theater macht Politik“ heraus, das so gefragt war, dass mit Simone Odierna ein Buch mit Erfahrungen von vielen KollegInnen daraus wurde, das beim AG SPAK Verlag erschien.

Theater macht Politik, AG SPAK Verlag

Theater macht Politik, AG SPAK Verlag http://www.agspak-buecher.de

Die abenteuerliche Reise mit dem Forumtheater brachte mich ab 1986 in den Friedens-Untergrund der DDR, auch in Ungarn, zum schönsten Zeugnis der STASI: Sie nannten mich „Inspirator“, weil der Text in der Akte mit: „L. inspiriert Gruppen der DDR zu antisozialistischem Widerstand“ begann … sie konnten Boals Arbeit nicht akzeptieren und einordnen …

und später in die Flüchtlingsarbeit, nach Kroatien und mit Jugendlichen und Frauen aus Bosnien, während dem Krieg dort, später Kosova, nach Cuba ins „Museum des Untergrundkampfes“ und nach Toronto zum internationalen Festival des Theatre of the Oppressed, wo wir 1997 den Nachruf für Paulo Freire begingen: Theater der Unterdrückten: Lernen von der „3. Welt“

Unsere weitgehende Unfähigkeit zum echten Dialog zeigt sich in unserer Sucht zum Helfen, in unserem schlechten Gewissen, in unserer kulturellen Arroganz.

Im Münchner Dialog ’94 forderte uns Paulo Freire (1) auf, dieses schlechte Gewissen abzulegen, uns frei zu machen zu einem wirklichen Dialog. Diese erschreckend einfache Sprache, diese Klarheiten von Positionen und Denken sind von einem Kontinent zu lernen, der mit seiner Verschuldung und seinem politischen Umbruch in weit größeren Problemen steckt, als wir sie uns in unserer Privilegien-Welt vorstellen können, auf dem die Menschen wohl aber mehr Fähigkeiten zeigen, damit umzugehen, als wir das derzeit tun.

Und doch können wir guten Gewissens davon profitieren: Indem wir lernen, den Gedanken der Befreiung nachzugehen, die in gleichberechtigter Begegnung liegt. Was für die Einen erst mit der Theologie der Befreiung klar geworden ist, hat für die Pädagogik der eigentlich gelernte Jurist Paulo Freire schon früher in seiner „Pädagogik der Unterdrückten (2)“ festgehalten:

Der Abschied von einer Belehrung von oben herab, von entfremdenden Autoritäts­verhält­nissen, und zu einem gegenseitigen gemeinsamen Lernen. Augusto Boal hat diese Methoden in die Theaterarbeit übersetzt, indem er von der Brecht-Tradition, die er vorher im Theater in die brasilianische Wirklichkeit übertragen hatte, auch politisch anwandte (3).

So entstand im brasilianischen Aufbruch der 60er Jahre die Verwandlung von Agit-Prop zu simultaner Regie, in der die Zuschauenden im Gespräch mit einem Joker oder einer Spielleiterin das Stück der Schauspieler verändern können. Auf den Impuls einer sehr beeindruckenden Frau (4) entwickelte Augusto Boal daraus das Forum-Theater, wie wir es heute regelmässig auch für unsere Themen verwenden.

Dabei wird dem Publikum eine Szene vorgestellt, die es in der zweiten Phase verändern kann, indem jemand aus dem Publikum die Rolle der unterdrückten Person in der Szene übernimmt und sie zu einem anderen Ende bringt.

Die Anwendung von Theatermethoden in der Erwachsenen-Alfabetisierung in verschiedenen südamerikanischen Ländern brachte eine Weiterentwicklung zu entsprechenden Techniken: Statuen- und Bilder-Theater machen eine Situation in ähnlichen Schritten durchsichtig, wie die Silben-Arbeit bei Freire’s Wort- und Schreib-Lern-Technik.

Zentral ist bei den beiden Freunden der Ansatz an den Themen der Teilnehmenden, die jeweils den Inhalt des gemeinsamen Lernens prägen. Entsprechend geht es bei unserer Arbeit um die europäischen Modelle und Muster der Unterdrückung: Sie findet bei uns weniger offensichtlich, aber weit hinterhältiger in der Erziehung, in der Tabuisierung und in der Psyche statt: „Cop in the had“

Nach Verhaftung und Folter im Verlauf des brasilianischen Militärputsch entwickelte Boal im europäischen Exil seinen Ansatz vom „Polizisten im Kopf“, dem er mit einem Zentrum zur Heilung von Autoritäts- und Erziehungsschäden begegnen wollte.

In der Fortbildung von SchauspielerInnen, Theater- und Sozialpädagogen sowie Erwachsenen-BildnerInnen kam der „Regenbogen der Wünsche“ dazu, der inzwischen zu einer ausgefeilten Technik der Vertiefung gesellschaftlicher Themen für das Theater entwickelt wurde.

Dieser Ansatz ist – im Gegensatz zu Psychodrama als therapeutischer Arbeit der Einzelnen und in der Gruppe – breit auf die gemeinsamen politischen Hintergründe ausgerichtet und kann Gespräche in Gang bringen, wie wir sie in unserer oft verkorksten Auseinandersetzungs- und Diskussionskultur nicht mehr kennen.

Ein entsprechendes Mittel verwendet Boal nun in seiner neuen brasilianischen Zeit in Rio: Nach den einladenden Versprechungen bekam seine Gruppe dort lange keine ausreichende Unterstützung, bis sie sich in den Wahlkampf der Arbeiterpartei einließen. Was zuerst zur Durchsetzung von Räumen und Finanzen gedacht war, endete mit der Kandidatur und einem Wahlsieg Augusto Boals zum Ratsherrn der Millionenstadt Rio de Janeiro, als der er etwa 25 Personen anstellen konnte, mit denen er nun seine neueste Theaterform entwirft:

Das Legislative Theater geht mit den Fragestellungen des Rathauses in die Wohnviertel, diskutiert mit Theatermethoden und bringt die Ergebnisse der Dialoge in Gesetzgebung und Verwaltung zurück.

Aufgrund der elementaren Sprache des Theaters ist das auch mit Straßenkindern und Prostituierten möglich, sogar mit anderen Ratsherren, denen Augusto auf den (typisch brasilianischen) Vorwurf, „mit dem Teufel im Bunde“ zu stehen, auch den ‚Leibhaftigen‘ ins Rathaus mitbrachte.

Zu unseren europäischen Fortbildungen bringt er vor allem sein analytisches Denken mit, das auch in etliche Literatur gefasst wurde, wovon leider noch wenig in deutscher Sprache, aber mehr in französisch und englisch erschienen ist.

Die Anwendung der Methoden des Theater der Unterdrückten in der Erwachsenenbildung hat früh Simone Neuroth (5) zusammengefasst, für die Arbeit an Schulen hat die Arbeitsstelle Weltbilder zusammen mit der Schweizerischen Schulstelle der Arbeitsgemeinschaft Swissaid in Bern ein Arbeits-Heft „Spielräume“ herausgebracht.

Regelmäßige Fortbildungen gibt es beim entwicklungsdienst theater – methoden in der Paulo Freire Gesellschaft (6), langjährig im Institut für Jugendarbeit des Bayrischen Jugendrings in Gauting und bei KollegInnen in Hamburg und Mainz. Für Mitarbeiterinnen im Jugendbereich und im Sozialwesen haben wir die Fortbildung stop!tabu entwickelt, LehrerInnenfortbildungen gibt es nach Bedarf.

Bei der Linzer Friedenswoche ’95 wurde Boal in eine Reihe mit Mikis Theodorakis und Ernesto Cardenal gestellt. Damit er für die Bewusstseinsbildung auch an unseren Schulen und bei unseren Bildungsträgern tatsächlich eine entsprechende Signalwirkung bekommt, braucht es noch mehr mutige PädagogInnen, die den Einstieg in den gleichberechtigten Dialog wagen und den Mut zur Freiheit einer echten Partnerschaft mit den Lernenden eingehen. Das löst nicht den Beruf auf, sondern die Berufskrankheiten.

1 Paulo Freire entwickelte in Brasilien in den 60er Jahren die Pädagogik der Unterdrückten, die er später mit einer Pädagogik der Befreiung und nun mit einer Pädagogik der Hoffnung weiterführte. Letztere ist in deutscher Sprache noch nicht erschienen

2 Paulo Freire: Pädagogik der Unterdrückten, Bildung als Praxis der Freiheit, rororo TB 6830

3 Augusto Boal: Theater der Unterdrückten, Übungen und Spiele für Schauspieler und Nicht-Schauspieler, suhrkamp-TB Neue Folge Frankfurt/M

4 Boal hat dazu eine sehr anschauliche Erzählung einer peruanischen Betrugsgeschichte, in der seine Gruppe sehr handgreiflich lernte.

5 Simone Neuroth: Augusto Boal’s „Theater der Unterdrückten“ in der pädagogischen Praxis, Deutscher Studien Verlag Weinheim 1994 Chamber in the Street: Das Aushungern der Geflüchteten begann schon mit Hetze der Union 1998

Mehr auf den Seiten http://www.forumtheaterblog.wordpress.com

und vielleicht noch auf http://joker-netz.de/legisla.htm

von der Pädagogik der Unterdrückten von Paulo Freire

die aus Brasilien in den 1970er Jahren über kirchliche Kreise nach Deutschland kam und der Arbeit mit Augusto Boal und dem Theater der Unterdrückten

die über viele Jahre von 1981 an in München zu erleben war, zuletzt 1999 im Rathaus als „Legislatives Theater“ als angewandte gemeinschaftliche Forschung in Gruppen und in öffentlichen Aufführungen zur Heilung von Erziehungs- und Autoritätsschäden und zu den diversen, feministischen und queeren Bewegungen, die heute dafür von reaktionären Kräften angegriffen werden, wie in der Sexualpädagogik. Die Engführung als „marxistisch“ durch Öffnen für kritische Dialoge wie mit Michail Bakunin und Rosa Luxemburg exemplarisch in die Geschichte einbringen …

Kritische Wissenschaft Heute (@KritWiss_Heute) twitterte um 10:55 AM on Sa., Dez. 05, 2020: Die Kritische Psychologie ist maßgeblich in Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse nach Freud und als Versuch ihrer Weiterentwicklung entstanden.

Hier eine persönliche Sicht auf den Zugang zu beiden: https://t.co/UANphCFWA9 (https://twitter.com/KritWiss_Heute/status/1335160736113364992?s=03)

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zentrum_zur_heilung_von_autoritaets-_und_erziehungsschaeden.txt · Zuletzt geändert: 2021/05/16 19:53 von fritz