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freie_liebe

Wer bei Freie Liebe nur an die Hippies und Kommunen der 1968er denkt, ist noch nicht genug informiert: Es begann schon viel früher! Und es war immer ein Bruch mit der Erziehung, mit der Erwartung der Eltern und der Nachbarschaften, der Verwandtschaft. Bis 1969 gab es noch den §180: Unter Kuppelei verstand man die Förderung und Tolerierung außerehelichen Geschlechtsverkehrs (Unzucht) und das war seit 1872 unter Strafe gestellt. http://175-geschichte.de/index.php/home/gesetzestexte/10-180-stgb-kuppelei

  "Die Liebe vom Zigeuner stammet, fragt nach Recht nicht und Gesetztes Macht."
  
  'Ja die Liebe hat bunt Flügel' aus der Oper Carmen

„Charlotte Salomon. Leben? oder Theater?“ (1917 Berlin – 1943 Auschwitz) https://charlotte.jck.nl/detail/M004206

In anarchistischen und sozialistischen Kreisen entstand oft die Haltung, dass der kirchlich-staatlichen Ehe kein Gewicht mehr zukäme, weil das bürgerliche Gesetz nicht in den Sachen der Liebe zu gelten habe. Am Monte Verità, in Gemeinschaften und bei Beziehungen über Ländergrenzen hinweg, in homosexuellen Beziehungen war ohnehin nicht an gesetzliche Regelungen und Toleranz zu denken.

Wie bei Polyamoren Beziehungen beginnt es meist mit einer Überraschung, was von Außen nicht nachvollzogen werden kann: Wo bürgerliches Besitzdenken die Eifersucht und Verlustangst ins Spiel bringt, erleben die Beteiligten eine Befreiung: Nichts mehr müssen und sollen, sondern nur offen das Wollen, was gerade passt!

Die Verantwortung bleibt in der ehrlichen Kommunikation, die den Unterschied zum „Seitensprung“ ausmacht, und die gemeinsame Forschung, was Gefühle und Wertschätzung verändern kann, und hilfreich ist dazu immer eine Gruppe, die den Austausch auch reflektieren hilft.

Vor gut 100 Jahren

Bei Kurt Eisner und bei Gustav Landauer erlebten wir noch die bürgerliche Verurteilung der Scheidung und Trennung der ersten Ehe mit öffentlicher Diffamierung, wie sie im Postfaschismus in der Nachkriegszeit der 1950er auch wieder üblich war.

Zwischen den Ärzten und Freud-Schülern und Psychoanalytikern Otto Gross zur Freien Liebe, befreundet mit Erich Mühsam und zeitweise am Monte Verita und Wilhelm Reich, mit sexueller Aufklärung und politischem Denken in der Psychotherapie, gegen die Abtreibungs-Gesetzgebung und die Massenpsychologie des PostFaschismus sowie den Gründer des Institut für Sexualforschung, den Arzt Magnus Hirschfeld gerieten die Nazis mit ihrem engen verzweckten Familienbild mit Mutterorden, das dann in etlichen Kreisen auch der Kirchen noch bis heute weiter wirkt;

daraus entstand im Exil bei Laura und Fritz Perls und Paul Goodman die Gestalttherapie,

denn die deutschen Psychoanalytiker brauchten bis in die 1980er Jahre, bis sie einen homosexuellen Analytiker zulassen konnten … https://queer-kunst.blogspot.com/2020/09/hintergrundige-realitaten.html

Otto Gross: Psycho-Analyse und Politik

http://raete-muenchen.de/otto-gross-psycho-analyse-und-politik

Otto Gross war ein aktives Mitglied der sozialistisch-anarchistischen Bewegung und auch in literarische Kreise in der Wiener, Münchner, Berliner und Schweizer Boheme integriert.

Friedrichshagen am Müggelsee

Auch Magnus Hirschfeld gehörte zu den „Dichterkreisen“, die nicht nur Maler und Theaterleute wie Strindberg, Gustav Landauer, Fidus und Erich Mühsam zeitweise in der „Berliner Sommerfrische“, dem östlich von Berlin gelegenen Luftkurort an der Bahnstation der Schlesischen Eisenbahn in bewegten Kreisen lebten:

Von hier aus wurde die Erneuerung der Freien Volksbühne Berlin betrieben, als sie unter SPD-Regentschaft nur noch ältere Literaten spielte, und die Gedanken der Lebensform nach der Kaiserzeit vorbereitet: Anarchismus, Sozialismus, Demokratie – wie sollte das gehen?

Hier gibt es auch ein wunderbares Antiquariat, das ein kleines Museum beherbergt: Der Dichterkreis Friedrichshagen hatte aktuell eine Ausstellung und ein Heft zu Gustav Landauer auf der Basis der reichhaltigen Polizei-Akten zusammengestellt,

aber auch die Serie der thematischen Hefte zu Gästen, Theaterleuten, Malern und Genossenschaften, die das damalige Aufbrechen zu neuen Lebensformen herbei schrieben, druckten und selbst versuchten, ist eine spannende Fundgrube zu jener Zeitgeschichte.

Am Monte Verita

Auch am Monte Verita: Otto Gross brachte dort als Freud-Schüler die aktuellen Denk-Figuren der PsychoAnalyse: Was in der „Redekur“ aus der Verdrängung geholt wurde, welche autoritären Verformungen in der Erziehung passieren (davon hatte Gross heftiges durch seinen autoritären Vater erfahren) und die Idee der Freien Liebe

und wie das Leben in der Freien Liebe zu gestalten sei

…mühsam_johannes_nohl_raphael_friedeberg_in_ascona_1905

… neben dem Entzug, den Gross für seine Kokain-Abhängigkeit dort suchte, Hermann Hesse für seine Alkohol-Sucht.

Umfragen in Schwabinger Cafes

Es gibt Erzählungen zu seinen Umfragen zur Zufriedenheit mit der erlebten Sexualität, die auch in den Kreisen der Boheme noch aufsehen erregten, in denen eine Franziska Gräfin zu Reventlow als erste bewusste Allein-Erziehende mit Sohn noch Aufsehen erregte.

Freund und Berater von Erich Mühsam

Erich Mühsam lebte damals in einer Beziehung und auf Wanderschaft mit Johannes Nohl, aber auch in wechselnden Arten der Freien Liebe, bürgerlich noch völlig unaussprechbar, heute vielleicht unter polyamor zu fassen: Wenn alle Beteiligten offen damit umgehen können.

Die Freie Liebe als damaliges Politikum

Otto Gross hatte als junger Meisterschüler der Psychoanalyse auch intensive Kontakte mit seinen Klient*innen, geriet wegen einer Selbstmord-Geschichte mit Gift kriminalistische Untersuchungen, propagierte in Zeitschriften-Artikeln und im Austausch mit Erich Mühsam Gedanken der Freien Liebe und lebte sie auch, wie manche Künstler*innen damals in „offener Ehe“:

Auf dem 1. Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Salzburg gab es heftige Auseinandersetzungen: Otto Gross sprach dort über „culturelle Perspektiven“ der Psychoanalyse, meinte aber vor allem auch die politische Bedeutung, die psychoanalytische Arbeit ernst nehmen sollte, die konservative Ärzteschaft wollte aber von den Bedeutungen für emanzipatorische Bewegungen nichts wissen.

Später verordneten Freud und die führenden Kreise der Psycho-Analytischen Gesellschaft ein Erwähnungs-Verbot für den Namen Otto Gross, wie 1936 auch auch für Wilhelm Reich, das bis heute noch in den universitären Kreisen unbewusst weiter gilt.

Heute reden wir von Polyamor

Nun gab es gestern sogar in der LMU in der Philosophie einen sehr gut besuchten Abend zu polyamoren Lieben und Beziehungen

Lebensreformer*innen

Der Monte Verita wirkt weiter: Nicht nur die immer noch wirksame Provokation der Nacktheit, auf Liegewiesen im Englischen Garten als Erwähnung in japanischen Reiseführern für München …

Drogen als Absturz

Otto Gross lieferte Beiträge für die Zeitschriften Die Erde und Das Forum, und er wechselte seine Wohnorte zwischen Graz, Wien und München. Im Oktober 1919 zog er nach Berlin, wo er bei Cläre und Franz Jung in Friedenau wohnte.

Am 11. Februar 1920 wurde er unter Entzugssymptomen leidend in einem Durchgang zu einem Lagerhaus von Freunden – auch von Hans Walter Gruhle – aufgefunden und in eine Klinik nach Pankow gebracht, wo er zwei Tage später starb.

Otto Gross promovierte und habilitierte in dem Fach Psychiatrie. Er war in seiner Forschung bemüht, eine Synthese zwischen Psychoanalyse, Psychiatrie und Nietzscheanischer Philosophie zu entwerfen.

Gross zählt zu den ersten Autoren, die über Psychoanalyse veröffentlichten. Von Sigmund Freud wurde er geschätzt. Auf dem 1. Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Salzburg sprach er über „culturelle Perspektiven“ der Psychoanalyse.

Er war ein aktives Mitglied der sozialistisch-anarchistischen Bewegung und auch in literarische Kreise in der Wiener, Münchner, Berliner und Schweizer Boheme integriert.

Aufgrund verschiedener Affären und wegen seiner Drogensucht wurde er auf Betreiben seines Vaters, des berühmten Strafrechtlers Hans Gross, in psychiatrischen Anstalten interniert, entmündigt, steckbrieflich gesucht und als Anarchist verhaftet. 1920 verstarb er unter ungeklärten Umständen. http://www.psyalpha.net/biografien/otto-gross

Quellensammlung

Im Umkreis von Franz Kafka:

Sophie Templer-Kuh wurde in 1916 in Wien, Österreich als Tochter von Marianne Kuh, Schwester des berühmten Essayisten und Journalisten Anton Kuh, und dem Psychoanalytiker Otto Gross geboren.

Ihr Vater starb, als sie vier Jahre alt war. https://lchaim.berlin/tag/sophie-templer-kuh/

Michail Bakunin war früher (auch mit anerkannten Kindern des zweiten Partners seiner Frau, seines Mitarbeitenden) … auch mit Richard Wagner (und seinen späteren offenen Beziehungen) in Dresden bei den Aufständen

Ascona

freie_liebe.txt · Zuletzt geändert: 2023/10/14 18:37 von fritz